Zufällig bin ich die Tage auf das Projekt „Clearing House Unterricht“ der TUM School of Education unter Leitung von Prof. Dr. Tina Seidel aufmerksam geworden und hatte mich ehrlich gesagt gefreut, dass es endlich auch in Deutschland eine solche Initiative gibt. Unter den FAQs der Projektseite findet sich eine Definition zu „Clearing House“, die den Sachverhalt m. E. hervorragend auf den Punkt bringt (und in Wikipedia in Abgenzung zum Clearinghouse im Finanzwesen festgehalten werden sollte), vgl. https://www.clearinghouse.edu.tum.de/faqs/:
Mit dem Begriff Clearing House werden im wissenschaftlichen Zusammenhang Institutionen oder Projekte beschrieben, deren Ziel es ist, neueste wissenschaftliche Erkenntnisse für zeitgemäßes professionelles Handeln und politisches Entscheiden nutzbar zu machen. Damit verbunden ist zunächst eine Klärungsfunktion (clearing). Durch verbindliche Kriterien wird entschieden, welche wissenschaftlichen Befunde hinsichtlich Qualität und Relevanz geeignet sind, um bei professionsbezogenen oder politischen Entscheidungen berücksichtigt zu werden. Gleichzeitig erfüllt jedes Clearing House eine Disseminationsfunktion. Es werden ausgewählte Befunde so kommuniziert, dass wissenschaftliche und vor allem nicht-wissenschaftliche Anwendergruppen davon profitieren können. Etabliert hat sich das Konzept derzeit vor allem in der Medizin. Dort tragen Clearing Houses entscheidend dazu bei, dass ärztliche Praxis auf aktuell bester wissenschaftlicher Grundlage, das heißt evidenzbasiert, ausgeübt werden kann.
Beim Blick auf vergleichbare Initiativen bin ich u. a. auf das „What Works Clearinghouse (WWC)“ (Untertitel: Find What Works based on the evidence) des Institute of Educational Sciences (IES) / U. S. Department of Education und dessen Gegenentwurf „Evidence for ESSA“ des Center for Research and Reform in Education (CRRE) / Johns Hopkins Universitiy School of Education gestoßen. Wie Jean Stockard in seinem Blogbeitrag „Best Evidence and the What Works Clearninghouse“ erhellend zeigt, wirken sich die zugrundeliegenden Standards und Verfahren der jeweiligen Institutionen zum Teil massiv auf die Ergebnisse aus. So arbeitet etwa das „What Works Clearninghouse“ mit derart anspruchsvollen Qualitätskriterien (Threshold-Ansatz), dass zahlreiche (offenbar hoch relevante) Studien gar nicht berücksichtigt wurden. Entsprechend liegt manchen Ergebnisdarstellungen inkl. Handlungsempfehlung nach Stockard nur eine einzige Studie mit weniger als 150 Teilnehmern zugrunde. Bei „Evidence for ESSA“ hingegen gibt es keine vergleichbaren Qualitätsschwellen. Es wird jede Studie als Auswertungsgrundlage verwendet, die eine Mindesteffektstärke von 0.25 aufweist. Allerdings werden auch bei ESSA Schlussfolgerungen ggf. auch nur anhand einzelner Studien (vgl. Rober Slavin, Evidence for ESSA and the What Works Clearninghouse, Huffingtonpost) und nicht etwa anhand von Meta-Analysen gezogen. Auch die Art der Ergebnisdarstellung ist bei ESSA tatsächlich mehr auf Lehrende im Sinne von Praktikern ausgerichtet. Die Darstellungen des WWC richten sich dagegen trotz vorgeblicher Ausrichtung auf Lehrende („Our goal is to provide educators with the information they need to make evidence-based decisions.“) wohl eher an Wissenschaftler oder Lehrerbildner mit fundiertem bildungswissenschaftlichem Hintergrund.
Demgegenüber erscheint mir das Projekt „Clearing House Unterricht“ der TUM ein stimmigeres Angebot zu sein. Datengrundlage sind bevorzugt Meta-Analysen und keine einzelnen Studien. Als Adressaten sind Lehrerbildner aller Phasen angesprochen und nicht generell alle Lehrende, wenngleich das Portal selbstverständlich allen Interessenten zur Verfügung steht. Und die Ergebnisdarstellung erscheint mit den Kurzreviews von wenigen Seiten kompakt und gut verständlich einerseits, und bietet für den wissenschaftlich Interessierten andereseits solide Fachinformationen und ausreichend Literaturhinweise.
Ich wünsche der Projektgruppe viel Erfolg, eine lange Projektlaufzeit und werde zukünftig gerne auf das ein oder andere Kurzreview zugreifen :-)
Lieber Christian,
Vielen Dank für diese Perle im Netz, die du da gefunden hast.
Die Kurzreviews sind wirklich sehr wertvoll und eine gute Vorarbeit.
Liebe Grüsse
Stephan
Lieber Stephan,
Danke für Deine Rückmeldung :-)
Beste Grüße
Christian