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Forschungswerkstatt: Übertragbarkeit des Pattern-Ansatzes in die Didaktik?

Am 24. und 25.04.09 hatte ich die Möglichkeit, an der Forschungswerkstatt von Prof. Peter Baumgartner in Wien zur Frage der Übertragbarkeit des Pattern-Ansatzes von Christopher Alexander in die Didaktik (=> didaktische Entwurfsmuster) teilzunehmen. Prof. Baumgartner hat hierzu schon einen ausführlichen Bericht auf seinem Portal Gedankensplitter zur Verfügung gestellt.

Zunächst muss ich sagen, dass die euphorische Darstellung des Verlaufs der Forschungswerkstatt von Prof. Baumgartner durchaus nicht übertrieben ist – ich habe selbst wenige Veranstaltungen erlebt, in denen über einen längeren Zeitraum (mehrere Stunden) eine derart besondere, aktive, analytisch-kreative Atmposhäre herrschte, wie am zweiten Tag der Zusammenkunft – in der Tat ein ‚Flow‘-Erlebnis, das wir als Gruppe erleben konnten. Eine der Voraussetzungen hierfür war – trotz deutlicher Kritk am Pattern-Ansatz von Christopher Alexander und seinen 15 properties of wh0leness aus pädagogischer, psychologischer, philosophischer und methodologischer Sicht – die durch Prof. Baumgartner motivierte Bereitschaft für den Versuch einer Übertragung der 15 properties in die Didaktik. Der Gedankenaustausch, der sich hier frei entfaltete, um Formulierungen und Verständnis ringend, beständig Theorie und pädagogische Praxis miteinander abgleichend, wurde von allen Teilnehmenden als fruchtbar und bereichernd erlebt.

Bei den 15 properties of wholeness handelt es sich um geometrische Struktureigenschaften, die sich nach Alexander in allen als lebendig und ganzheitlich erfahrbaren Strukturen (z.B. in vielen Pänomenen der Natur) wiederfinden. Diese 15 Eigenschaften sind zugleich als strukturerhaltende Transformationen zu verstehen, die zur Entfaltung der ganzheitlichen Strukturen führen. Die 15 properties of wholeness lauten:

  1. Levels of Scale
  2. Strong Centers
  3. Thick Boundaries
  4. Alternating Repetition
  5. Positive Space
  6. Good Shape
  7. Local Symmetries
  8. Deep Interlock and Ambiguity
  9. Contrast
  10. Gradients
  11. Roughness
  12. Echoes
  13. The Void
  14. Simplicity and Inner Calm
  15. Not Separateness

Erläuterungen mit Beispielen zu den 15 Struktureigenschaften finden sich beispielsweise unter http://www.livingneighborhoods.org/ht-0/fifteen.htm.

Grundlegend für unseren explorativen Übertragungsversuch war die (noch zu begründende) Annahme, dass die 15 Struktureigenschaften analog zur Architektur auch in der Didaktik zu lebendigen, ganzheitlichen bzw. kohärenten (didaktischen) Strukturen führen. Vor der Forschungswerkstatt dokumentierte Prof. Baumgartner in einem Weblogeintrag einen ersten Übertragungsversuch der ersten 6 Struktureigenschaften Alexanders. Am zweiten Tag der Forschungswerkstatt vertieften wir diesen Versuch und erkundeten mögliche Entsprechungen in der Didaktik in zeitlicher, räumlicher, sozialer und inhaltlicher bzw. materialbezogener Sicht.

Nachdem ich am ersten Tag nach verschiedenen Diskussionen akzeptiert hatte, dass Alexander scheinbar keine klaren Definitionen der 15 Struktureigenschaften bereithält (z.B. um Fragen zu klären wie z.B. was unter einem Zentrum eigentlich genau zu verstehen ist, oder wodurch sich ein starkes von einem schwachen Zentrum unterscheidet etc.), ließ ich mich einfach mal auf das weitere Vorgehen ein. Der Gedankenaustausch unseres Übertragungsversuchs war dann – wie oben beschrieben – sehr interessant und anregend. Am stärksten hatte mich persönlich das Strukturmerkmal ‚Positive Space‘ angesprochen: Was könnte dieses Merkmal auf die Didaktik übertragen in zeitlicher, räumlicher, sozialer und inhaltlicher Hinsicht alles bedeuten? Zeitlicher Freiraum, der analog zu den Pausen in der Musik nicht einfach Leerraum, sondern gestalteter Raum ist? Unterschiedliche freie Lernräume und -umgebungen, die mehr dem informellen, explorativen, selbstorganisierten Lernen und Arbeiten oder der Erholung dienen (z.B. Erfahrungsräume für Erkundungen, Praktika, Projektarbeiten außerhalb der Schulhauses bzw. der Bildungsinstitution oder auch der Freizeitraum mit dem Kaffeeautomaten, die Bibliothek)? Sozialer Freiraum, der neben der dichten sozialen Interaktion bei Plenums-, Gruppen- oder Tandemarbeit auch Rückzugsmöglichkeiten für das individuelle Arbeiten, Lernen, Reflektieren, Entspannen ermöglicht; ebenso auch soziale Interaktionsmöglichkeiten im formellen Bildungsraum für eher persönliche Interessen (Freundschaften, Cliquen, Beratungslehrer, Tutoren)? Inhaltliche Darstellungen,  Materialien und Aufgaben, die denkerischen Freiraum, Kreativität, unterschiedliche Verarbeitungs- und Reflexionstiefe zulassen? Während dieses Prozesses hatten wir zunehmend den Eindruck, dass die anhand der Strukturprinizipien Alexanders zusammengetragenen Gestaltungsaspekte didaktischer Strukturen durchaus bedeutsam für deren besonderer Qualität sein könnten. Ob diese dann auch praktisch, d.h. für die am Lehr-Lernprozess beteiligten Personen, zu einer erlebbaren Quality Without A Name führt, ist allerdings fraglich (QWAN steht nach Alexander für eine intersubjektiv erfahrbare, ganzheitliche und nicht definierbare besondere Qualität lebendiger kohärenter Strukturen).

Ich muss zugeben, dass ich mich bisher nur peripher mit Christopher Alexander beschäftigt habe, wozu vor allem diese Forschungswerkstatt Anlass geboten hatte. Trotz Gedankenfeuerwerk und Flow-Erlebnis – sicherlich auch aufgrund meiner bisher geringen Kenntnisse des Werks Alexanders: Es sind noch viele Fragen offen.

Wie komme ich zu einem wissenschaftlichen Diskurs über Begriffe (15 properties of wholeness), die nicht exakt definiert werden können? In welcher Weise wurden die 15 Strukturmerkmale Alexanders gewonnen, in welcher Relation stehen diese zueinander, wie wird deren Vollständigkeit beansprucht oder nachgewiesen, warum sollten diese als geometrische Struktureigenschaften auf zeitliche, soziale und materialbezogene (didaktische) Strukturen und Prozesse übertragbar sein? Mit welcher Begründung? U.v.a.m. Und dennoch: Irgendwie hat man dennoch das Gefühl, dass bei der Beschäftigung mit dem Pattern-Ansatz und den Strukturmerkmalen Alexanders auch für die Didaktik interessante Ergebnisse gefördert werden könnten. Ist aber auch nur ein Gefühl… Ob das den anderen auch so geht? ;-)

Mit Netvibes Lernumgebungen gestalten

Aktuell erarbeite ich einen Lernpfad für die Lehrerfortbildung zur Gestaltung von Lernumgebungen mit Netvibes und bin wieder einmal absolut begeistert von den Möglichkeiten, die solche personalisierbaren Homepage-Dienste leisten.

„Founded by Tariq Krim in 2005, Netvibes pioneered the personalized homepage as alternative to traditional web portals. Netvibes lets individuals assemble their favorite widgets, websites, blogs, email accounts, social networks, search engines, instant messengers, photos, videos, podcasts, and everything else they enjoy on the web – all in one place.“ (http://about.netvibes.com)

Mit Hilfe sogenannter Widgets (kleine Ajax basierte Applikationen, die in skalierbaren Rechtecken angezeigt werden), lassen sich per Drag and Drop unterschiedlichste Dienste auf persönlich gestaltbare Webseiten ziehen und sehr einfach konfigurieren. Häufig verwendete Widgets sind z.B. Webnotiz, Checkliste, Kalender, Mail, RSS-Feeds, HTML-Block (damit können z.B. beliebige Webseiten, Videos, Bilder und Podcasts unterschiedlicher Anbieter eingebunden, angezeigt bzw. abgespielt werden) und Nachrichtendienste. Zudem kann man nach dem Login nicht nur eine Webseite, sondern über das Anlegen von Reitern (Tabs) eine ganze Reihe von Webseiten gestalten und über die Veröffentlichungsfunktion über eine eigene URL KollegInnen und SchülerInnen zur Verfügung stellen: Die ideale Möglichkeit, um  Lernumgebungen für den Unterricht vorzubereiten bzw. mit den SchülerInnen persönliche Lernumgebungen (kurz auch PLE = Personal Learning Environment) zu gestalten.

Veröffentlichte Seiten (auch Universe genannt) und verfügbare Widgets (aktuell 180617) lassen sich über das Netvibes Ecosystem recherchieren. Meine öffentlichen Netvibes-Seite, die ich speziell für den Lernpfad gestaltet wird, ist hier erreichbar.

Wie könnten solche Seiten/Universes methodisch für den Unterricht genützt werden? Ein paar Ideen:

  • Stationenlernen: Tabs sind die Stationen und die SchülerInnen müssen die Stationen mit Material und Aufgabenstellungen durchlaufen
  • Begleitmaterial/Präsentationsmaterial für Referate: SchülerInnen erstellen zu ihrem Referat eine öffentliche Netvibes-Seite, mittels der die Präsentation (z.B. via Slideshare) oder Zusammenfassungen/Skripte (z.B. via Scribd) auf einer Webseite zur Verfügung gestellt und ggf. durch weitere Ressourcen (Webseiten, Nachrichten, Podcasts, Vidoes) ergänzt werden.
  • Hilfe-Seiten für Freiarbeitsphasen, Wochenplanunterricht, selbstgesteuertes Lernen: Es lassen sich Tutorials, unterstützendes Material, Hilfestellungen vorbereitend vom Lehrer oder MitschülerInnen flankierend für Unterricht und Hausaufgaben bereitstellen und (ggf. auch nur über 1-2 PCs im Klassenzimmer) nutzen.
  • Lernumgebungen zur individuellen Förderung: SchülerInnen richten mit Unterstützung der Lehrkraft ihre PLE für den Fachunterricht ein. Die Lehrkraft kann Tipps für geeignetes Förder-, Übungs- oder Spielmaterial über ihre öffentliche Seite geben; die entsprechenden Tabs/Widgets können dann von den SchülerInnen über einen Klick in Ihre persönliche Lernumgebung übernommen werden. So lassen sich z.B. Online-Übungen, Online-Tests, Online-Spiele u.v.a.m. zur individuellen Förderung für SchülerInnen zusammenstellen. Hierzu benötigen LehrerInnen dann Infos zu frei verfügbaren Online-Schätzen wie z.B. der Seite und Übungsanwendung von Arndt Brünner zum Trainieren der Polynomdivision. Einfach genial!
  • … ?

In 10 Jahren spricht niemand mehr über die heutigen Lernplattformen

Diese These findet sich unter 9 weiteren in einem Beitrag von Werner Hartmann (PH Bern) in der Zeitschrift Folio für Lehrkräfte in der Berufsbildung  (Ausgabe 6/08).  Auf diese Quelle bin ich über ein Posting von Visvanath Ratnaweera im Pädagogischen Forum von moodle.org gestoßen.

Hartmanns 10 Thesen, die er u. a. auf den BECTA Summary Report September 2008 und den Horizon Report 2008 gründet, lauten:

1. In wenigen Jahren ist das Internet die Festplatte.
2. In wenigen Jahren kommen die meisten Programme aus der „Steckdose“.
3. In zehn Jahren spricht niemand mehr von den heutigen Lernplattformen.
4. Notebooks in Schulen sind in fünf bis zehn Jahren Alltag.
5. Schulen ans Netz? In wenigen Jahren sind alle Schülerinnen und Schüler permanent im Netz.
6. Die Informationsbeschaffung wird sich nochmals massiv verändern.
7. In wenigen Jahren ist die Wikipedia allgemein akzeptiert.
8. Die Schule der Zukunft wird weniger textlastig sein.
9. Gedruckte lehrmittel sind zu teuer und werden durch elektronische abgelöst.
10. Es geht alles viel schneller, als man denkt. Aber vieles bleibt auch beim Alten.

Ich halte diesen Artikel in jedem Fall für lesenswert, auch wenn einige dieser Thesen nicht wirklich neu oder überraschend sind. Natürlich lassen solche Statements wie die These Nr. 3 aufhorchen, insbesondere da wir uns momentan intensiv mit Schulungs- und Unterstützungsmaßnahmen zur Integration von Moodle in oder begleitend zum Unterricht beschäftigen und uns momentan nicht vorstellen können oder wollen, dass in einigen Jahren niemand mehr von Moodle spricht…